Im Reichenhaller Tagblatt vom 28.3.2011 berichtete Barbara Titze über den Auftakt unserer Reihe "Boarisch g'schriem - boarisch g'redt". Die Idee zu dieser Literatur-Reihe stammt von Gustav Starzmann. Er macht mit seiner Lesung den Auftakt - weitere Lesungen sind in Planung.

 

Zwei bayerische Literaten im Vergleich

 

Gustav Starzmann las Werke

von Oskar Maria Graf und Ludwig Thoma

 

BAD REICHENHALL – Gustav Starzmann, Mitglied des Bayerischen Landtags von 1982 bis 2003, ist in Bad Reichenhall kein Unbekannter, schließlich ist er hier geboren. Er lebt und arbeitet heute noch in Übersee und Bad Reichenhall. Dass der frühere SPD-Politiker ein Liebhaber der bildenden Kunst ist und sich auch selber künstlerisch in den Bereichen Malerei, Gießtechnik und Stahlbildhauerei betätigt, sogar schon etliche Ausstellungen hatte, das hat sich noch ganz so herumgesprochen.

Bei der Veranstaltung im Magazin 4 stand allerdings nicht er selber im Vordergrund. Diesmal ging es um das Spannungsverhältnis zweier bayerischer Dichter, nämlich Ludwig Thoma (1867 – 1921) und Oskar Maria Graf (1894 – 1967), die oft zu Unrecht in den Bereich derber, krachlederner und volkstümlicher Schriftsteller geschoben werden.

Starzmann ging es an diesem Abend um zwei Anliegen, einmal um die Pflege der bayerischen Sprache, und zweitens um das Bemühen, die beiden Autoren aus der Ecke der sogenannten „Schollendichtung“ herauszuholen. Gustav Starzmann hatte das Glück, Oskar Maria Graf kennenlernen zu dürfen. Er pflegte sogar eine Korrespondenz mit ihm, in der der Schriftsteller 1964 klagte, dass viele Bücher von ihm durch deutsche Buchhändler totgeschwiegen und boykottiert werden und er als „bayerischer Spaßmacher“ mit „Bauernliteratur“ galt, der vor allem auf sein „Bayerisches Dekameron“ reduziert wurde.

Dieses Stück, das er aus finanziellen Gründen nach dem Geschmack des Publikums geschrieben hatte, ist aber keinesfalls beispielhaft für sein sonstiges Werk, das von expressionistischen Gedichten bis zu Romanen wie „Die Erben des Untergangs“ und „Wir sind Gefangene“ reicht. Diese Werke wurden von anderen Schriftstellern wie Maxim Gorki, Berthold Brecht, Rainer Maria Rilke und Thomas Mann gewürdigt und bewundert. Starzmann war es ein Bedürfnis, herauszustellen, dass Graf nicht ein Epigone Ludwig Thoma's war, also ein geistiger Nachfolger, der auch auf der gleichen Welle schwamm. Die beiden Autoren haben unterschiedliche Stärken und behandeln gleiche Themen durchaus differenziert, obwohl beide „gefühlvolle Kenner der bayerischen Seele“ sind. Oskar Maria Graf war ein Anhänger und Liebhaber von Thoma's Werk, zu dessen bekanntesten Stücken „Stille Nacht“ und seine „Lausbubengeschichten“ zählen.

Starzmann las Kostproben der beiden Autoren vor, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zeigen sollten, wie die Gedichte „Heimat überall“ und „Hoffnung“ von Oskar Maria Graf, in denen die Sehnsucht des im Exil lebenden Bayern deutlich wird. Außerdem trug Starzmann die Gedichte „Mondnacht am Chiemsee“ sowie „Frühlingsahnen“ von Ludwig Thoma vor. Die besondere Beziehung zu ihren Müttern bringen Graf und Thoma unterschiedlich zum Ausdruck, für Thoma's Muttter war Herzensgüte das Erziehungsmittel. Die pragmatische Einstellung von Grafs Mutter kommt in der Äußerung über den eher klein gewachsenen Heiligen Vater in Rom gut zum Ausdruck: „Für so was Heiliges hätten sie doch einen größeren Menschen auswählen können.“

Beiden gemeinsam ist die Schlichtheit und Klarheit der Sprache. Die Nüchternheit der Beschreibungen macht betroffen, der trockene Humor bringt einen unweigerlich auch bei traurigsten Szenen zum Lachen, so wie bei Grafs Erzählung „Es stirbt wer“ und Thoma's „Das Sterben“.

Bei diesen Szenen in herrlich urtyüischem Bairisch kam die ganze Ausdruckskraft Starzmanns zum Vorschein. Mit eindeutigem komödiantischem Talent ließ er die Protagonisten der Stücke lebendig werden, was auch bei dem „Brautverstecken“ von Ludwig Thoma wunderbar deutlich wurde. Aber gerade Grafs Werk geht über das Beschreiben bäuerlichen, einfachen Lebens hinaus. 1916 wurde er nach einer Befehlsverweigerung erst ins Lazarett, dann in eine Irrenanstalt eingeliefert, aus der er als „dienstunbrauchbar“ entlassen wurde. Er kämpfte immer gegen den Krieg, später gegen die Nazis. Als seine Bücher bis auf sein geschmähtes Hauptwerk „Wir sind Gefangene“, von den Nazis auf eine weiße Liste gesetzt und bei den Bücherverbrennungen verschont wurden, schrieb er in der Wiener Arbeiterzeitung den flammenden Aufruf „Verbrennt mich!“, worauf seine Bücher ebenfalls dem „reinigenden Feuer“ zum Opfer fielen. Graf wurde anschließend mit 35 anderen Reichsbürgern, darunter auch Albert Einstein, von den Nazis ausgebürgert. Kein Geringerer als Berthold Brecht würdigte diesen Ausruf Grafs in seinem Gedicht „Die Bücherverbrennung“. Auch gegen Ende seines Lebens protestierte Graf gegen den Vietnamkrieg.

Ludwig Thoma, der als junger Mann wegen „Beleidigung einiger Mitglieder des Sittlichkeitsvereins“ in Stadelheim gesessen und schon als Kind gegen Doppelmoral, Spießbürgerlichkeit und Scheinheiligkeit gekämpft hatte, wurde Rechtsanwalt, war Mitarbeiter und später Herausgeber des „Simplicissimus“ und gab mit Hermann Hesse zusammen die Zeitschrift „März“ heraus. Aber nach einschneidenden Erlebnissen im Ersten Weltkrieg verbitterte er. Aus dem Linksliberalen wurde ein Antisemit, dem später vorgeworfen wurde, ein Wegbereiter Hitlers gewesen zu sein.

Gustav Starzmann könnte sich vorstellen, diesen Abend mit den beiden Dichtern Thoma und Graf in eine Reihe von Lesungen bayerischer Dichter zu stellen. Dabei denkt Starzmann an Emerzenz Meier (1874 – 1928), die neben Lena Christ als bedeutendste bayerische Volksdichterin gilt, oder auch an den recht deftig schreibenden Georg Queri (1879 – 1919).

Der Abend im Magazin 4 war auf jeden Fall ein mal vergnüglicher, mal ernster, immer aber interessanter und gelungener Auftakt dazu.